„Ich bin gestresst, unausgeglichen und habe ein Bauchgefühl – das ich aber einfach nicht deuten kann.“ Als Corinna in die erste Sitzung meines Personalcoachings kam, war sie verwirrt und verzweifelt. Sie hatte einen gut bezahlten Job in einer Bank und stand gerade davor, den nächsten Schritt auf der Karriereleiter zu erklimmen: Ihr Chef hatte sie befördert. Obwohl die Abteilungsleitung immer Corinnas Ziel war, fühlte sie sich seit dem Angebot nur schlecht und suchte deshalb meine Hilfe. Ich wusste sofort: Die Focusing-Methode würde die richtige für Corinna sein.
Die Geschichte des Focusing
Begründer dieser Methode ist der gebürtige Wiener Eugene T. Gendlin – ein Professor für Philosophie und Psychologie an der Universität Chicago. Impuls für die Entwicklung des Focusing gab eine wichtige Entdeckung: In den sechziger Jahren stellte Gendlin fest, dass seine Gesprächspsychotherapie bei einer ganz bestimmten Gruppe seiner Klienten schneller zum Erfolg führte. Nämlich bei jenen, die im Coaching nicht nur über ihre Themen redeten – sondern ganz bewusst in ihr Inneres spürten.
Gendlin erforschte diese Methode des „Sich-selbst-Spürens“ und erarbeitete eine lernbare und lehrbare Anleitung für diejenigen, die sie nicht ganz intuitiv anwendeten: Das Focusing war geboren. Im deutschsprachigen Raum entwickelten Klaus Renn und Dr. Johannes Wiltschko die „Innenschau“ in den eigenen Körper zu einer vollständigen Psychotherapie-Methode weiter.
Der Ablauf einer Focusing-Sitzung
Corinna nahm ich von Anfang an als sehr selbstreflexive und –fokussierte Person wahr. Sie hatte ja bereits erkannt, dass sie etwas unbewusst beschäftigte. Daher begann ich recht zügig, Ihr eine Anleitung für das Fokussieren zu geben.
Zeitfenster für das Achtsamkeitstraining schaffen
Wichtig ist, sich bewusst Zeit zu nehmen, um sich ganz sich selbst zuzuwenden. Eine Therapie ist dafür natürlich optimal – doch Sie können jederzeit auch zuhause Freiraum nutzen. Stellen Sie nur sicher, dass Sie auf gar keinen Fall abgelenkt sind. Denn die volle Aufmerksamkeit auf Ihren Körper und Ihre Seele zu richten, ist der Mittelpunkt des Prozesses. Focusing weist dadurch auch Parallelen
- zur Meditation
- zum autogenen Trainig
- zur Hypnose
auf.
Ich bat Corinna, es sich gemütlich zu machen. Dann begann ich ihre Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken, das sie so beschäftigte; diese unbestimmten Gefühle in ihr, dass etwas nicht stimmte: ihre innere Stimme. Alles andere – die noch anstehenden Aufgaben des Tages, Termine und Pläne – bat ich sie, bewusst zurückzustellen. Wenn Ihnen das schwer fällt, ist ein Trick, sich zu sagen: Nach meiner Focusing-Zeit nehme ich mich wieder ganz diesen Dingen an; doch jetzt bin ich bei mir.
Den Blick auf die Körperempfindungen richten
Fokussieren ist eine sehr körperorientierte Methode. Deshalb bat ich Corinna, ihre Augen zu schließen und ihren Körper zu spüren. Vor allem sollte sie
- ihren Atem bewusst wahrnehmen
- fühlen, wo es warm oder kalt ist
- mit dem „inneren Blick“ vom Scheitel bis zur Fußsohle zu wandern
- zu erkennen, wo es „fließt“ und wo es „stockt“
und zu lokalisieren, wo Empfindungen sitzen. Auftretenden Gefühlen sollten Sie immer freudig „Hallo“ sagen und sie liebevoll begrüßen; negative Gedanken und Emotionen möglichst vermeiden.
Körperempfindung beschreiben
Wenn ein vollständiges Wahrnehmungs-Bild entstanden ist, muss es nach Außen gelangen: Corinna sollte unter meiner Supervision klare Worte für ihr Fühlen finden – solche, die das Gespürte so beschrieben, dass es sich für sie möglichst treffend anfühlte. Diesen Beschreibungsprozess nennt man auch Felt Sense (gefühlter Sinn). Heraus kamen Beschreibungen wie zum Beispiel „kleine Nadelstiche in der Brustgegend“ oder „kühles Rauschen im Hals“.
Anschließend forderte ich Corinna auf, Fragen zu stellen. Zum Beispiel
- was ihr an der empfundenen Situation am Wichtigsten erscheine
- was sie gerne daran verbessern würde
- ob sie etwas lernen könne
- wie das aufgetauchte Gefühl verändert werden könne.
Wenn Sie das zuhause probieren möchten, rate ich Ihnen zur Geduld. Erwarten Sie nichts von sich, was Sie gerade nicht leisten können. Es geht nicht um möglichst schnelles Vorwärtskommen und Lösen einer belastenden Situation, sondern darum, achtsam zu sein. Wenn Sie sich etwas nicht gleich beantworten können, akzeptieren Sie das. Versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch mal.
Antworten auf Ihre Fragen
Die Antworten, die Ihnen Ihr Körper bzw. Ihre Körperwahrnehmung auf Ihre Fragen gibt, sind der erste Schritt zur Selbsterkenntnis und zur Lösung Ihrer Probleme. Das erfuhr auch Corinna: Schritt für Schritt näherte sie sich ihrem anfangs beschriebenem „Bauchgefühl“ an. So gestand sie sich schließlich ein, dass Sie die Beförderung eigentlich gar nicht wollte – obwohl sie so lange darauf hingearbeitet hatte. Sie fühlte sich im Team schon lange nicht mehr aufgehoben und sah für sich bei ihrem Arbeitgeber keine Perspektive mehr.
Was Corinnas Problem war, ahnten Sie als Leser vielleicht schon von Anfang an. Corinna selbst kostete diese Erkenntnis aber mehr Zeit. Darum geht es beim Focusing: Sich nicht von anderen erklären zu lassen, wie sich die Welt dreht – stattdessen mit Achtsamkeit für den eigenen Körper selbst erkennen, welche Bedürfnisse vorhanden sind. Eine spürbare Erleichterung (felt shift) ist die Folge, und schließlich die vollständige Entkrampfung (body shift).
Heilen durch Selbstwahrnehmung
Corinna hat inzwischen komplett umgesattelt: Sie löste sich langsam von ihrer alten Stelle und arbeitet inzwischen als Musikpädagogin. Zu dieser Veränderung gehörte eine Menge Mut. Doch dieser wurde durch mehr Zufriedenheit und Ausgeglichenheit belohnt. Nicht immer werden Sie gleich Ihr ganzes altes Leben hinter sich lassen. Meistens bewirkt das Fokussieren „nur“ ein Vorwärtskommen in kleinen Veränderungsschritten – egal ob in der Einzeltherapie oder in der Paarberatung.
Als Therapeutin und Begleiterin trainiere ich die Technik gerne mit Ihnen. Auch in den Einzelsettings im Rahmen der Paartherapie wende ich das Focusing häufig zur Selbstklärung der Partner an, was bei Beziehungsproblemen wichtig ist oder um innere Widerstände und Blockaden aufzulösen. Auch brauchbar ist das Focusing bei wichtigen Entscheidungsfindungen, um die Intuition zu Wort kommen zu lassen – oder wenn Sie gar nicht wissen, wie die Zukunft aussehen soll.
Generell sollten Sie aber erst einmal herausfinden, ob das Focusing für Sie überhaupt das Richtige ist. Denn nicht jeder findet Gefallen am Weg nach Innen. Doch die lösungsorientierte Kurzzeittherapie bietet auch noch viele andere Möglichkeiten bei der Arbeit mit Trauma, Mutlosigkeit oder zur Stressbewältigung. Rufen Sie mich doch einfach an – das erste Gespräch ist völlig kostenlos. Tel.: 06109 – 700 468 70
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