Es ist einer der häufigsten Trennungsgründe: einer der beiden Partner ist fremdgegangen und zerstört damit das Vertrauen. Auch Lisa und Lukas (*Namen geändert) waren eines dieser Paare, als sie die Therapie bei mir begannen. Oder besser gesagt: als Lisa bei mir Hilfe suchte, denn Lukas wollte sich am Anfang ganz und gar nicht zur Therapie überreden lassen.
Das ist eine Konstellation, der ich oft begegne: Meistens geht der erste Schritt zum Paarcoaching nur von einem Part in der Beziehung aus. Lisa war wie gesagt in diesem Fall die treibende Kraft – und auch die, die ihren Freund betrogen hatte. Relativ schnell beichtete sie ihm die Affäre, die sie sehr bereute. Lukas war zutiefst verletzt – und obwohl er sich nicht von ihr trennte und ihr die Untreue verzeihen wollte, war das Zusammenleben von nun an beinahe unmöglich.
Unerträglicher Beziehungsalltag nach dem Seitensprung
Lisa wollte herausfinden wie sie und ihr Freund zu diesem Punkt gelangt waren und gleichzeitig wieder frischen Wind in ihre Beziehung bringen – denn Lukas war Ihr trotz allem wichtig und sie wollte ihn ganz zurückgewinnen und wiedergutmachen, was sie getan hatte. In der ersten Einzeltherapie schilderte sie mir, dass Lukas seit ihrer Beichte besessen davon war, sie zu kontrollieren. So reagierte er zum Beispiel sehr eifersüchtig und geradezu enttäuscht, wenn seine Partnerin mit Freundinnen den Abend verbrachte statt mit ihm.
Er forderte als Reaktion auf ihren Betrug ungleich mehr von ihr als zuvor – verlangte von ihr, dass sie immer für ihn da sei. Im Gegenzug verhielt er sich ihr gegenüber aber stets frostig – so, als würde er sie gerne für das bestrafen, was sie ihm angetan hatte. Die beiden stritten sich wegen seines Misstrauens beinahe jeden Tag – eine Trennung war nicht mehr ausgeschlossen.
Ausrutscher auch als Chance begreifen
Ein Seitensprung ist auch eine Chance: Denn er bringt immer Beziehungsprobleme auf den Tisch, die zuvor unter den Teppich gekehrt wurden. Ein Paar kann dieses „Aufrüttel“-Erlebnis nutzen, um zu verstehen, was in der Beziehung schief läuft. Bei Lisa stellte sich tatsächlich heraus, dass sie glaubte, Lukas gleichgültig zu sein und sich deshalb zurückgezogen hatte. „Mir ging es gar nicht um Sex,“ gestand mir Lisa im ersten Einzelcoaching, „Bei dem anderen Mann fühlte ich mich viel mehr wertgeschätzt, mit ihm kann ich reden und er versteht mich.“
Die erste Frage, die ich Lisa nach ihrem ausführlichen Bericht stellte, war deshalb: „Was erlebtest du dort, was du in der Beziehung vermisst?“ Lisas Antwort war: Die Nähe und so sein zu dürfen wie sie ist – aber vor allem auch, sich gesehen zu fühlen. Als Hausaufgabe gab ich Lisa deshalb mit, in sich zu gehen und genau die Dinge aufzuschreiben, die ihr in ihrer Beziehung mit Lukas fehlten. Lisa sagte mir später, dass diese erste Sitzung für sie eine enorm positive Erfahrung war – denn plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht weiter tatenlos dabei zusehen zu müssen, wie alles in die Brüche ging.
Hausaufgaben zeigen Sofortwirkung
Die Liste, die Lisa mit in unsere nächste Sitzung brachte, war ziemlich lang. Sie hatte begriffen: Die Kleinigkeiten zählen – und so listete sie Dinge wie „gemeinsam Abendessen, ohne dass Lukas dauernd auf seinem iPhone herumklickt“ auf oder „ein zärtlicher Willkommenskuss, wenn ich abends heimkomme“. Doch mehr noch: Lisa hatte Lukas von dieser Aufgabe erzählt und ihm die Liste gezeigt. Offenbar bewegte dies etwas in ihrem Freund – denn seit langem führten sie wieder einmal ein ruhiges, sachliches Gespräch. Lukas hatte, wie er mir später sagte, begriffen: Er war nicht nur das Opfer und seine Freundin nicht nur die Täterin. Eine Einsicht, die für sein Selbstbewusstsein gut war und ihm half, sich mehr zu öffnen.
Die Aufgabe vollendeten die beiden dann gleich zu Zweit. Lisa wirkte ungemein erleichtert, als sie mir erzählte, dass sie seit langem nicht mehr so liebevoll und vertraut miteinander umgegangen waren, wie bei dieser „Hausaufgabe“. Ganz von allein hatten sie sich damit auseinander gesetzt, was früher in ihrer Beziehung möglich war und wann das Gefühl für einander da zu sein langsam verschwand.
Versöhnung abschließen, verzeihen und neu starten
Es dauerte noch zwei Einzelcoaching-Sitzungen bis sich Lukas zur gemeinsamen Therapie überreden ließ und dadurch ein wichtiges Zeichen setzte: Auch er wollte ernsthaft an der Beziehung arbeiten. Obwohl er bereits vorher gezeigt hatte, dass er verzeihen und sich nicht trennen wollte, brauchte Lisa nach dem Beichten dieses eindeutige Signal, dass Lukas als Betrogener auch mit ihr kooperierte. Im Coaching übte ich mit Lisa aber auch, Lukas Perspektive einzunehmen und zu begreifen, dass der Betrogene Beweise braucht, damit er wieder vertrauen kann. Die Annahme ihrer Entschuldigung bedeutete noch nicht ihren Freispruch – ehrlich und geduldig zu sein, musste ab jetzt oberste Priorität sein.
Die Versöhnung der beiden schloss ich in der ersten Sitzung demonstrativ mit einem Ritual ab. Es ist förderlich, wenn der Betrogene die Worte „Ich bin bereit, dir zu vertrauen“ laut ausspricht. Außerdem stellte ich Lukas die Frage: „Hat Lisa eine Chance wieder gut zu machen, was sie dir angetan hat? Was müsste Lisa genau tun und dich spüren lassen?“ Gefühle in dieser Art in Worte zu fassen, ist erfahrungsgemäß vor allem für Männer erst einmal schwer. So auch für Lukas. Doch nachdem er einige Zeit nachgedacht hatte, forderte er, dass Lisa ihm Verständnis für seine Situation entgegenbringe und es auch als okay annahm, dass er noch gekränkt war und ab und zu feindselig reagierte – obwohl er ihr verziehen hatte.
Opferrolle ablegen und wieder Vertrauen aufbauen
Eine Erkenntnis, die während der Therapie langsam wuchs, machte es Lukas leichter, mit Lisa wieder normal umzugehen: Er begriff, dass er den Seitensprung in erster Linie seiner selbst willen verziehen hatte: Er wollte seinen inneren Frieden wieder herstellen. In keinster Weise war es ein Gefallen, den er ihr tat und seine Handlung zeigte auch nicht, dass er ihr Fremdgehen gut hieß.
Vertrauen zu stärken benötigt Zeit und viele Situationen, in denen es bestätigt wird. Ich arbeitete mit Lisa und Lukas daran, nicht wieder in den alten Trott zurückzufallen, der ihnen ein harmonisches Zusammenleben unmöglich machte. Ich ermunterte sie zu Unternehmungen und forderte sie auf, kreativ zu sein und sich Zeit für einander zu nehmen. Nur so kann sich eine neue, solide Vertrauensbasis entwickeln.
Einen neuen Anfang wagen – auf allen Ebenen
Lisa und Lukas sind noch zusammen – und schreiben mir nach dem Ende des Coachings noch manchmal eine E-Mail, um mich auf dem Laufenden zu halten. Schwierig war lange die sexuelle Beziehung. Solange der Schmerz noch groß war, konnte sich Lukas nicht auf Intimität einlassen – ganz typisch, wenn einer der Partner fremdgeht. Doch auch auf dieser Ebene kehrt langsam die Nähe und Normalität zurück.
Wie Sie sehen: Seitensprünge zu verzeihen ist ein großes Projekt. Vertrauen aufzubauen und einen Neuanfang zu wagen, benötigt viel Zeit und Mut. Doch es ist nicht unmöglich, wieder zueinander zu finden – wenn beide Partner an einem Strang ziehen. Scheuen Sie sich nicht, einen Paartherapeuten hinzuzuziehen, wenn Ihre Beziehung erschüttert ist.
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