Als Ilse und Hubert (Namen geändert) zu mir kamen, fiel mir sofort auf, wie sehr sie in sich ruhten. Kein Wunder: Beide hatten die 50 bereits erreicht, sie brachten viel Lebenserfahrung mit und hatten sich selbst gefunden – und auch einander. Erst 8 Monate dauerte die jetzige Beziehung, obwohl sie sich schon lange kannten und sogar früher schon einmal zusammen waren. Doch jetzt war es ihnen sehr ernst. Sie fühlten sich füreinander bestimmt, liebten sich, und doch: es klappte nicht.
Aus für sie unerklärlichen Gründen kam es in der Beziehung ständig zu Zoff – und zwar wegen Nichtigkeiten. Oft waren Anlass und Gründe für sie dermaßen nebensächlich, dass sie sich am Ende gegenseitig die Frage stellten: „Was war eigentlich das Thema unseres Streits?“ Nichtdestotrotz dauerte es manchmal mehrere Tage, bis sie sich wieder versöhnten. Erst dann fühlten sie sich nicht mehr so wütend und geladen und konnten wieder zueinander finden.
Abgesehen von diesen regelmäßigen, nervenaufreibenden Konflikten war die Partnerschaft aber völlig intakt. Beide schwärmten von ihrem Sex, der fantastisch und erfüllend war. Beziehungsprobleme, wie
- fehlendes Vertrauen nach dem Seitensprung
- Kinderwunsch-Debatten
- grundlose Eifersucht
- zu wenig Pepp in der Beziehung
- Bindungsangst
waren bei dem Paar nicht vorhanden.
Konstruktiv das wahre Thema der Auseinandersetzung finden
Obwohl die Partner weit von Trennung entfernt waren, suchten Ilse und Hubert professionellen Rat. Nach dem ersten Telefongespräch mit ihnen war mir schnell klar, dass sich eine Methode für das Coaching besonders eignen würde: die sogenannte Streit-Skizze. Diese dient dazu, das eigentliche, oft unter Anschuldigungen und Vorwänden verborgene Thema des ständigen Zoffs auszumachen. Wir Paartherapeuten bezeichnen dies auch als Finden der „Trauma Trigger Punkte“.
Für die erste Sitzung des Paarcoachings bat ich die beiden deshalb, eine konkrete Streitsituation mitzubringen und zu beschreiben. Was Ilse und Hubert mir erzählten, hielt ich in einer Zeichnung fest – und zwar so detailliert wie möglich. Das heißt, dass ich sehr oft nachhakte und Fragen stellte, wie:
- „Welchen Gesichtsausdruck hatte Ilse?“
- „Wie hielt Hubert seinen Arm?“
- „Wie soll ich den Mund malen?“
Bei dieser Art des Skizzierens kommt am Ende ein Comic-ähnliches Bild heraus.
Zeichnung regt zum Nachdenken über die eigene Streitkultur an
Im Anschluss fügten wir dem Bild gemeinsam Worte und Töne hinzu. Wichtig ist hierbei immer: Die Situation so konkret wie möglich abzubilden! Nicht gefragt sind bei der Streit-Skizze Interpretationen oder Deutungen von Verhaltensweisen, Beziehungsproblemen oder der gesamten Partnerschaft. „Das ist so, weil…“-Sätze lasse ich meine Klienten gar nicht erst aussprechen.
Danach fragte ich die beiden: „Was habt ihr gedacht?“ Das ist der spannende Teil, der nicht ausgesprochen wird, doch darin liegt die eigentliche Psychologie und Botschaft eines Streits. Ganz am Ende steht dann die Frage: „Was habt ihr gefühlt?“ Ilse und Hubert fiel es schwer, dies in Worte zu fassen. Ich nannte ihnen daher verschiedene Emotionen und ließ sie deren Intensität anhand einer 10-stufigen Skala einstufen. Alle Angaben fügte ich auch der Streitskizze hinzu – mit wertvollen Ergebnissen.
Streit-Skizze löst den Knoten
Ilse war erschrocken darüber, als sie sich in meinem „Comic“ mit grimmigen Gesichtsausdruck und schriller Stimme gezeichnet wiederfand. Sie konnte nicht fassen, welche Botschaften sie aussendete und machte sich deshalb Vorwürfe. Heraus kam, dass sie sich so verhielt, weil sie sich einsam fühlte. Sie brauchte die emotionale Verbindung zu Hubert dringend, wollte von ihm geschützt werden und Zeichen für seine Liebe.
Diese Erkenntnis löste den Knoten: Denn Hubert war mehr als bereit, diese Verbindung herzustellen und Nähe zu geben. Ihm war nur nicht bewusst, dass seine Partnerin diese Signale so dringend benötigte. Bei Hubert hingegen wurde sichtbar, dass er in manchen Situationen ein Gefühl von Ablehnung verspürte und damit selbst mit Rückzug reagierte. Er wünschte sich, dass Ilse achtsamer mit ihm umgehen und lernen sollte, besser zuzuhören – ein solches konstruktives Feedback konnte sie wiederum gut annehmen.
Unterstützungsaufgaben für Zuhause – für den Fall der Fälle
Im Fall von Ilse und Hubert ließ sich das Beziehungsproblem im Intensivcoaching in kurzer Zeit beseitigen. Das lag vor allem daran, dass beide unbedingt zu einer Lösung gelangen wollten und sehr engagiert bei der Sache waren. Die Dauer einer Paartherapie kann dadurch enorm verkürzt werden.
Nichtsdestotrotz gebe ich den Pärchen nach meiner Therapie immer noch etwas mit auf den Weg. Im Fall von Ilse und Hubert war dies eine Schritt-für-Schritt-Anleitung. Für den Fall, dass es doch einmal kracht, ermöglicht diese den beiden,
- möglichst sachlich aus dem Streit auszusteigen
- die Unzufriedenheit im Beziehungsleben zu erkennen
- besser über den eigenen Standpunkt zu reden.
In Zukunft ist es den beiden damit hoffentlich möglich, ihre Streitigkeiten rasch abzuschließen – am besten mit einem liebevollen Kuss.
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