Egal ob Mann oder Frau: Tendenziell wechseln wir in der heutigen Gesellschaft öfter den Partner als zum Beispiel noch vor hundert Jahren. Die Scheidungsraten sind gestiegen und fast jeder hat bereits eine schmerzvolle Trennung hinter sich. Nicht selten äußern Frisch- oder Mehrfach-Getrennte die Befürchtung: Ich bin beziehungsunfähig.
Ganze Ratgeber wurden inzwischen zu diesem Thema verfasst und im Internet kursieren für unsere Generation zig Psycho-Tests zu der Frage: Sind Sie beziehungsunfähig? Die Antwort möchte ich heute ausnahmsweise vorwegnehmen: Nein, sind Sie nicht! Denn so etwas wie „Beziehungsunfähigkeit“ gibt es eigentlich gar nicht – oder zumindest nur sehr, sehr selten.
Eine Ausrede für eine ganze Reihe von Beziehungsproblemen
Die „beziehungsunfähigen“ Personen sind oft jene, die sich aktiv trennen. Das heißt, sie sind oft der verlassende Part. Vielleicht beenden sie sogar die Beziehung mit den Worten, dass sie nicht fähig seien, diese fortzusetzen („Es ist meine Schuld, du kannst nichts dafür!“) – aus einem diffusen Gefühl heraus, dass sie nicht lieben können oder ihr Verhalten dazu führt, dass die Partnerschaft beeinträchtigt ist. Sie stellen ihre Beziehungsunfähigkeit wie eine scheinbar unheilbare Krankheit dar.
Sich selbst die Diagnose zu stellen ist einfach: Denn die Endgültigkeit verhindert, dass sich die Person ihren Problemen stellen und daran arbeiten muss. Doch nicht nur das: Wer sich selbst Beziehungsunfähigkeit attestiert, läuft auch Gefahr, Opfer seiner „self-fulfilling-prophecy“ zu werden. Je mehr man sich einredet, dass eine Liebesbeziehung von Vornherein zum Scheitern verurteilt ist, desto sicherer wird sie scheitern. Versuchen Sie also aus dieser gedanklichen Spirale auszubrechen – bevor Sie zu sehr unter Ihrem selbst-auferlegten Stigma leiden.
An der Beziehung arbeiten statt Beziehung abschreiben
Wenn eine Beziehung nicht klappt, so kann dies die verschiedensten und äußerst komplexe Ursachen haben – in den seltensten Fällen gehört dazu Beziehungsunfähigkeit. Analysieren Sie was schief läuft und Ihre Verhaltensweisen: Ständiger, nervenaufreibender Streit kann von simplen Kommunikationsproblemen herrühren. Wer seinem Partner immerzu Vorwürfe macht, wünscht sich vielleicht nur, anders wahrgenommen oder behandelt zu werden. Egal, was das Problem Ihrer Partnerschaft ist: Streben Sie nach Auseinandersetzung mit Ihren Schwierigkeiten, anstatt sich selbst abzuschreiben.
Steckt hinter Ihrer „Beziehungsunfähigkeit“ eher
- Angst, sich einzulassen, Ihre Freiheit aufzugeben und eine verbindliche Bindung einzugehen?
- Die Furcht, sich selbst nicht mehr verwirklichen zu können und das Ego aufzugeben?
- Wenig Selbstvertrauen, das Sie an der Liebe des Anderen zweifeln lässt?
- Das Glaube daran, dass sich schlechte Erfahrungen wiederholen werden?
- Dass Sie verlernt haben, den Anderen zu respektieren?
„Beziehungsunfähige“ Personen sind oft auch stark auf sich und ihre Selbstverwirklichung fokussiert oder Perfektionisten. Sie haben eine genaue Vorstellung davon, wie sie sich selbst in einer Partnerschaft sehen. Sobald dieser Lebensentwurf gestört wird, verlassen sie ihren Partner.
Eine Beziehung zu führen ist nicht immer einfach
Ja, eigentlich sollte das Liebesleben leicht sein, den Alltag bereichern, Sie glücklich machen. Doch nein, nicht immer ist dies gleichermaßen der Fall. Oftmals bedarf es viel Arbeit, um sich aufeinander einzuspielen und den Schwung und Pepp in der Beziehung zu erhalten. Geben Sie nicht zu schnell auf: Dass das Leben zu zweit nicht immer nur rosarot ist und weit entfernt von Perfektion, wird heutzutage – in den Zeiten von Selbstoptimierung, Speed-Dating und Partnersuche über Tinder – oft vergessen.
Fassen wir also zusammen: Die gute Nachricht ist, dass Sie beziehungsfähig sind. Die schlechte ist: Es hat einen Grund, dass Ihre Beziehungen scheitern und Sie müssen ihn finden. Dafür müssen Sie sich nicht immer gleich psychologische Hilfe suchen oder einen Termin für ein Einzelcoaching oder eine Paartherapie buchen: Manchmal hilft es schon, sich seinem Partner zu offenbaren – oder ehrlich zu sich selbst zu sein. Versuchen Sie es und werden Sie glücklich!
Synonym für schwere Krankheiten oder Bindungsangst
Zum Schluss möchte ich meine These noch etwas relativieren: Tatsächlich gibt es Menschen, die keine Beziehungen führen können. Oftmals sind schwere psychische Störungen dafür verantwortlich, wie zum Beispiel die Borderline-Persönlichkeitsstörung. In der psychologischen Fachliteratur finden Sie durchaus Begriffe wie „Bindungsangst“, „Bindungsstörung“ oder „Bindungsphobie“.
Dass sich hinter einer „Beziehungsunfähigkeit“ ein schweres psychologisch-medizinisches Problem verbirgt, stellt aber eine Ausnahme dar. Im Zweifelsfall sollten Sie diese Diagnose aber immer von einem Arzt abklären lassen – und eine Therapie in Anspruch nehmen.
Bild 1: © Andrey Popov – Fotolia.com
Bild 2: © contrastwerkstatt – Fotolia.com